Chronik
60 Jahre Wohnungsgenossenschaft Großenhain u. Umgebung eG
Die Chronik ist in der Geschäftsstelle erhältlich.
Ein Auszug aus unserer Chronik
Günstig Wohnen in Gemeinschaft – Eine Idee mit Tradition
Der Genossenschaftsgedanke im Wohnungsbau geht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Im Zuge der Industrialisierung stieg insbesondere in den Städten die Nachfrage nach Wohnraum. Mit dem Wachstum der Industrie, das im Elbland in Städten wie Meißen, Riesa, in und um Radebeul und in Großenhain zu beobachten war, wurden Grund und Boden für Wohnungen knapp. Das sinkende Angebot und zunehmende Spekulationen ließen nicht nur die Boden-, sondern auch die Mietpreise steigen. Vor allem die in den Manufakturen und entstehenden Industrie- und Kleinbetrieben arbeitenden Einwohner waren gezwungen, in ihren Wohnungen eng aneinander zu rücken. Oftmals wurden von den Arbeiterfamilien Untermieter aufgenommen, um die Mieten überhaupt zahlen zu können.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem wachsendem Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum heraus langsam das, was wir heute einen sozialen Wohnungsbau nennen. Werks- und Stiftungswohnungen entstanden. 1873 wurde in Leipzig die erste Baugenossenschaft in Sachsen gegründet und in Mittweida fanden sich Bürger in einem gemeinnützigen Bauverein zusammen.
Mit den Sozialgesetzgebungen, wie dem „Reichgesetz betrifft die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften” vom 1. Mai 1889, den Gesetzen zur Invalidität und Altersversicherung und der Nichtverlängerung des Sozialistengesetzes („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie”) in den 1890er Jahren, erhielt die Genossenschaftsbewegung im Wohnungsbau einen Aufschwung. Das „Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz” von 1889 erlaubte es den Versicherungen, ihre Rücklagen in den Kleinwohnungsbau zu investieren.
Die Landesversicherungsanstalt wurde alsbald zum wichtigsten Kreditgeber der sächsischen Baugenossenschaften. In Sachsen setzte der Aufschwung der Baugenossenschaften insgesamt erst um 1910 ein. In jenem Jahr wurde auch die Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft Großenhain (GWG) gegründet. Diese baute und verwaltete bis in die Mitte der 1980er Jahrer etwa 200 Wohnungen in Großenhain.
Nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges herrschte in Sachsen eine große Wohnungsnot. Vieles war zerstört und nicht bewohnbar. Umsiedler und Rückkehrer aus den Kriegsgefangenenlagern suchten außerdem für sich und ihre Familien Wohnraum. In der Sowjetischen Besatzungszone verfügten damals gut ein Drittel der Haushalte nicht über eine eigene Wohnung. Zum Wohnungsmangel und einem hohen Reparaturbedarf hinzu kam der Mangel an Baumaterialien, an Werkzeugen und an Maschinen. Nicht zuletzt waren auch Handwerker knapp.
Mit dem ersten Fünfjahresplan kurbelte die Partei- und Staatsführung der DDR den Wohnungsbau in den Jahren 1951 bis 1955 neu an. Der kommunale Wohnungsbau spielte dabei eine weit größere Rolle als die Schaffung privaten Wohnraumes. Den Kommunen und den bestehenden Konsum- und Baugenossenschaften oblag die Hauptverantwortung für den Wohnungsbau in den Städten. Sie verfügten über einen Großteil einer Wohngebäudesubstanz, die teilweise um die Wende zum 20. Jahrhundert errichtet worden war. Jedoch waren die alten Genossenschaften den damaligen Funktionären der SED-Partei- und Staatsführung suspekt, verwalteten sie doch privates Eigentum ihrer Mitglieder. Damit waren sie verdächtig, Keimzellen kleinbürgerlichen, kapitalistischen Lebens ins sich zu tragen. Wegen des hohen Anteils an Arbeiterwohnungen und der genossenschaftlich-demokratischen Strukturen der Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften schreckte man jedoch vor deren Auflösung zurück.
Nach den Juni-Aufständen von 1953 änderte die SED- und Staatsführung der DDR ihren Kurs gegenüber den genossenschaftlichen Gedanken. Den „alten” Baugenossenschaften wurden Genossenschaften neuen Typs gegenübergestellt: die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften. Mit der „Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und der Rechte der Gewerkschaften” vom 10. Dezember 1953 und der „Verordnung über die Finanzierung des Arbeiterwohnungsbaus” vom 4. März 1954 wurden die rechtlichen Grundlagen für Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften geschaffen. Ortsansässige, volkseigene Betriebe sollten als Initiatoren und Träger der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG) agieren. Der Gedanke des Werkswohnungsbaus, aus dem heraus bereits Ende des 19. Jahrhunderts für viele Arbeiter Wohnungen entstanden waren, stand hierfür Pate. Die neuen Genossenschaften wurden den vor 1945 gegründeten Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften entgegengesetzt und in den Folgejahren stärker als die GWG gefördert. Nicht selten schloss man diese gänzlich vom staatlichen Wohnungsbau aus.
Mit der Verordnung vom 14. März 1957 konnten neben den Großbetrieben Mittel- und Kleinbetriebe, staatliche Organe, Verwaltungen der Massenorganisationen, Universitäten, Hochschulen und wissenschaftliche Institute untereinander AWG bilden oder sich an den bestehenden AWG beteiligen.
Bei den GWG setzte man vor allem darauf, diese „sozialistisch umzugestalten”. Ähnlich wie in den gesamtgesellschaftlichen Verstaatlichungsprozessen für das private Handwerk und Gewerbe, für private mittelständische Unternehmen und für die Landwirtschaft wurde hier faktisch mit Zuckerbrot und Peitsche gearbeitet. Baugenossenschaften, die sich am staatlichen Willen orientierten, erhielten finanzielle Unterstützung durch den DDR-Staat. So wurden diese Genossenschaften von der Körperschafts-, Vermögens-, Gewerbe-, Grunderwerb-, Umsatz- und Grundsteuer befreit. Die Erbbaurechte wurden in unbefristete Nutzungsrechte umgewandelt, wodurch der Erbbauzins entfiel. Zinsvergünstigungen bei Krediten, zinslose Darlehen, Bauland für den Neubau mit unentgeltlichen und unbefristeten Nutzungsrechten winkten diesen Genossenschaften.
Wie bei der AWG wurden die Genossenschaftsanteile auf einheitlich 300 Mark der Deutschen Notenbank (MDN) festgelegt, die Genossenschaftsanteile richteten sich nach der Zimmer-Anzahl und auch bei den GWG wurden die Genossenschafter zu Arbeitsleistungen am Objekt oder im Baugewerbe verpflichtet. Die Vergabe der Wohnungen erfolgte bei der AWG, wie bei der GWG, nach einem Vergabeplan, wobei innerhalb von drei Jahren nach Beitritt in die Genossenschaft eine Wohnung zugewiesen werden musste. 1963 wurden erstmals verbindliche Belegungsnormen für AWG-Wohnungen erlassen. Zugleich konnten die Genossenschaftsmitglieder nunmehr ihre Wohnungen aus dem genossenschaftlichen, volkseigenen bzw. aus den privaten Wohnungsfonds unter Einhaltung von bestimmten Voraussetzungen miteinander tauschen. Auch der Wechsel der Genossenschafter innerhalb von Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften wurde ermöglicht.
Die Mieten für die Wohnungen waren staatlich geregelt. In Städten unter 100.000 Einwohnern lagen sie bei durchschnittlich 72 Pfennig pro Quadratmeter monatlich, darüber bei 77 Pfennig pro Quadratmeter. In Neubauten zahlten die Mieter knapp eine Mark pro Quadratmeter. Investitionen in den Neubau von Wohnungen waren in der DDR nur mit dem Zuschuss staatlicher Mittel möglich. Die Genossenschaften selbst brachten weitere Eigenmittel über Genossenschaftsanteile, Arbeitsleistungen und durch die Mitfinanzierung über Trägerbetriebe auf. 500 bis 900 Stunden waren pro Mitglied erforderlich. Auch Geldzahlungen waren möglich, aber dies nur unter bestimmten Bedingungen. Die Genossenschaften mussten zudem auf zinslose „Grundmittelkredite” aus dem Staatshaushalt zurückgreifen, um den steigenden Baupreisen zu begegnen. Zunehmend reichten die erbrachten Eigenleistungen nicht mehr aus, um die Kosten zu decken.